Achtsamkeit im Alltag - eigentlich ganz einfach !
Ein Tag wie jeder andere
...
„Der Hund will raus!“ Das Kommando dringt aus den Tiefen unseres Hauses bis in mein Arbeitszimmer. Wie immer fühlt sich niemand angesprochen, denn das Kommando gilt einzig und allein mir. Ein Blick auf die Uhr am PC sagt mir, dass der Gang mit dem Hund längst überfällig ist. Ich verdrehe kurz die Augen, frage mich, wo die Zeit schon wieder geblieben ist und speichere meine gerade begonnene Arbeit ab.
Langsam erhebe ich mich von meinem Schreibtischstuhl, strecke mich, denn der Nacken schmerzt vom langen Sitzen. Ein Spaziergang kann sicher nicht schaden. Gegen die Fensterscheibe platschen dicke Regentropfen und machen das Aufraffen nicht attraktiver. Ich war so vertieft in mein Manuskript, dass ich gar nicht mitbekommen habe, dass es zu Regnen begonnen hat. Eben strahlte doch noch die Sonne vom Himmel. Eben – das muss vor Stunden gewesen sein.
Mein Mini-Hund tänzelt in der Diele hin und her, sein buschiger weißer Schwanz wedelt hin und her. Er zeigt nicht einmal den Ansatz eines schlechten Gewissens, dass er sein Frauchen bei diesem Wetter raus jagt. Im Gegenteil – er freut sich, dass ich mit ihm gehe und er den Gang nicht mit einem anderen Familienmitglied machen muss. Das mag er nämlich gar nicht und zeigt auch es auch entsprechend.
Nur schnell zurück ins warme Haus
...
Glücklicherweise sind es nur wenige Meter und ich bin im Wald. Ein schmaler Waldweg, mittlerweile ziemlich matschig, meine Hände tief in die Jackentasche vergraben. Der Wind peitscht den Regen in mein Gesicht. Meine Kapuze ist etwas zu groß und mein Sichtfeld entsprechend klein. Ich scheine der einzige Mensch weit und breit zu sein, der ausgerechnet jetzt hier herumläuft. Der Mini-Hund trottet neben mir her. Besser gesagt, er steht neben mir. Alle paar Meter. Hier schnüffeln, da schnüffeln, Bein heben, weiter. Ihm scheint der Regen nichts auszumachen, denn er wird mit jeder Minute langsamer.
Meine Gedanken sind überall, nur nicht hier ...
Mein Gott, nun mach doch endlich, ist mein einziger Gedanke. Nein, nicht mein einziger Gedanke, denn die weiteren Gedanken gelten dem Text, den ich eben am Verfassen war. Im Geiste gehe ich den letzten Absatz noch einmal durch und versuche, mir einen komplizierten, aber unheimlich geistreichen Satz zu merken, der mir grad in den Sinn kommt. Vermutlich hab ich den Satz aber zuhause sowieso wieder vergessen.
Im nächsten Leben komme ich als Hund auf die Welt, denke ich, alles wäre so einfach und unkompliziert. Einfach alles reduziert auf das Notwendigste. Essen, schlafen, Gassi-Gehen. Oder andersrum. Vollkommen egal. Er lebt einfach nur im Moment, genießt den Moment. Und ich? Ich hetze durch den Tag, bin genervt von Unterbrechungen wie dieser hier. Der Mini-Hund bleibt wieder stehen. Als wolle er sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, lehnt er sich jetzt an mich und schaut zu mir hoch. Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen und lächele ihn an.
Warum hetze ich eigentlich so?
Im gleichen Moment wird mir klar, dass ich nicht zwangsläufig als Hund auf die Welt kommen muss, um den Moment zu genießen. Was macht es denn schon aus, ob ich zehn Minuten im Wald herumlaufe oder zwanzig Minuten oder gar dreißig Minuten? Gedanken über meinen Manuskripttext kann ich mir auch später machen, wenn ich wieder vor dem Bildschirm sitze.
Warum nicht einfach mal abschalten? Mit den Gedanken genau hier sein? So wie mein Hund. Im Wald. Geschützt von den Buchen zur linken und den Birken zur rechten Seite des Weges. Zwischen wilden Blumen, Steinen, Zweigen, Unkräutern und Jungbäumen. Ich schaue mir ganz bewusst alles an, was um mich herum wächst.
Eine Maus huscht vorbei, ganz nah vor mir und verschwindet im Gebüsch. Ich beobachte meinen Hund, der jeden Zentimeter des Bodens gründlich beschnuppert. Er liest seine Tageszeitung, denke ich. Er informiert sich gerade, wer hier heut schon alles hergelaufen ist und seine Duftmarken hinterlassen hat. Und er setzt seine selbstverständlich darüber.
Ich nehme die Umgebung ganz bewusst wahr
...
Wie still es hier ist. Aber ist es das wirklich? Ich lausche bewusst den Geräuschen. Und stelle fest, dass es gar nicht still ist. Ein Specht, irgendwo oben in der Baumkrone, klopft unentwegt. Vögel zwitschern durcheinander. Überall raschelt es im Gebüsch. Irgendwo in der Ferne wiehert ein Pferd.
Vor mir ist eine Pfütze, die Wolken spiegeln sich darin. Es hat aufgehört zu regnen, die Sonne kommt wieder durch. Alles um mich herum glitzert jetzt von den Tropfen, die an den Zweigen hängen. Ich schiebe meine Kapuze zurück und wir setzen den Weg fort. Mein Hund schaut zu mir hoch. Hier ist gewöhnlich die Stelle, an der wir wenden. Aber heute gehen wir weiter, viel weiter als sonst. Ich habe Zeit – ich nehme mir Zeit. Schaue mir alles genau an, als würde ich zum ersten Mal diesen Weg gehen. Ich atme tief durch. Es riecht angenehm. Frisch. Nach Waldboden. Nach nassem Gras. Nach Pilzen.
Ich bin in dieser ländlichen Region aufgewachsen, bin immer schon hier gewesen, und diesen Weg bin ich hunderte Male gelaufen, aber ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal die Natur so intensiv in mir aufgenommen habe. Wir gehen noch ein Stück weiter, sind jetzt im Tannenwald. Ich sammele ein paar Äste auf, nehme Steine und Moos mit. Meine Jackentaschen füllen sich immer mehr und ich beschließe, umzukehren.
Mein Handy klingelt in der Jackentasche, aber ich gehe nicht ran. Es kommt mir fast unverschämt vor, dass es jemand wagt, mich jetzt zu stören.
Die Arbeit an meinem Manuskript musste an diesem Abend warten. Es hat mir viel mehr Freude bereitet, diesen Artikel zu schreiben. Sicher werde ich nicht bei jedem Spaziergang in diesen Entspannungsmodus gelangen – aber ich habe mir ganz fest vorgenommen, solche Gelegenheiten fest in meinen Alltag zu integrieren.
Und Sie? Wann haben Sie sich das letzte Mal an kleinen, alltäglichen Dingen erfreut?
Wann haben Sie das letzte Mal etwas Alltägliches einfach nur so richtig genießen können?
Kommentar schreiben
Daniela (Montag, 18 September 2017 16:19)
Wunderbare Wort liebe Kerstin ♥
Die Natur können wir immer wieder neu entdecken. Achtsam durch die Welt gehen.
Hab einen schönen Tag!